Prozess am 4. März – diese Erklärung konnte das Gericht nicht hören

Weitere Informationen zu der Berufung, die eingelegt werden sollte, finden Sie hier.

Nach einer ersten Vertagung auf Antrag des Verteidigers zog der Staatsanwalt – als Vertreter des Staates – am Tag vor der Verhandlung seine Berufung zurück. Der Staatsanwalt hatte Berufung gegen das Urteil des Richters eingelegt, der am 6. Juni 2017 L. zu 4 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung (mit 5jähriger Bewährungsfrist) und 500 Euro Geldstrafe wegen Beschädigung eines Zauns der Andra verurteilt hatte. Mit dieser Rücknahme der Berufung bleibt es also beim ersten Urteil.

Auf dem Place de la carrière in Nancy fand noch eine Versammlung von ca. 50 Personen statt, mit KüfA und dem üblichen Aufgebot an Polizist*innen und Zivis (Staatsschützer/Polizisten in Zivil) drum herum (letztere machten sich die Mühe, L. nach seinen persönlichen Daten zu fragen).

L. konnte während der Kundgebung die Erklärung abgeben, die er vor Gericht hätte abgeben wollen.

Hier ist sie im Format einer Broschüre zum Herunterladen: Weniger Angst – deutsch)

Text der Erklärung:

Hohes Gericht,

Sie werden nicht darüber diskutieren, welche Bedeutung diese Geste hat und ob man sich gegen dieses Atommüllendlager stellen soll oder nicht. Denn das wäre eine Störung der Ordnung der Mächtigen, und in diesem Fall der Atomlobby. Nein, das Vorgefallene muss auf eine einfache Sachbeschädigung reduziert werden. Ein Zaun wurde zerstört und das ist strafbar. Ob es ein Zaun der ANDRA ist oder ein Zaun, der die Hühner nachts vor dem Fuchs schützt, spielt keine Rolle. Ein Zaun wurde zerstört und das ist strafbar.

Ich weiß aus Erfahrung, dass Sie die Situationen, die zu dieser oder jener Handlung führen, nicht analysieren werden, Sie werden nicht versuchen, ihre Beweggründe zu verstehen. Dieser Zaun schützt ein Atommüllendlager. Aber genauso wenig, wie der Zaun den Austritt der radioaktiven Strahlen verhindern wird, kann er die Wut der Enterbten auf unbestimmte Zeit eindämmen. Ich fühle mich enterbt. Ich verliere das Erbe dieses schönen Planeten. Ich sehe sie unter den Schlägen der Zerstörungsmaschine unserer industriellen kapitalistischen Zivilisation zusammenbrechen. Wo immer sich der Fortschritt ausbreitet, stirbt das Lebende und damit sterben auch unsere Herzen. Die Gesichter verdüstern sich. Für den kolonialistischen Komfort des Urans, das in Afrika unter miserablen Bedingungen abgebaut wird, hinterlassen wir Tausenden von kommenden Generationen diesen Müll, der für Zehntausende von Jahren extrem toxisch bleiben wird. Wir müssen versuchen, uns einen solchen Zeitraum vorzustellen. Ich glaube nicht, dass der Mensch dazu wirklich fähig ist. Um diesen Müll zu behandeln, ihn zu transportieren, zu lagern, zu überwachen und zu vergraben, brauchen wir möglicherweise mehr Energie, als mit der Kerntechnik je erzeugt wurde.

Es scheint absurd und doch produzieren wir weiter. Weil wir wie im Wahn alles um uns herum zerstören. Dieser Wahnsinn hat seinen Ursprung im Krieg. Wenn es nicht so viele militärische Interessen gäbe, hätten wir uns nie für eine Industrie entschieden, deren Müllproblem unlösbar ist. Wovon ich träume, ist einen Planeten zu hinterlassen, auf dem das Wasser in den Bächen wieder trinkbar wird, auf dem keine Arten vom Aussterben bedroht sind, dass zukünftige Generationen leben können und nicht nur überleben im Kampf gegen die Mächtigen, die für Geld alles zerstören wollen. Wir sind so sehr vom Geld versklavt, dass der Staat es schafft, die Zustimmung der Bevölkerung zu kaufen, indem er jedes Jahr 70 Millionen Euro in den vom Cigéo-Projekt betroffenen Departements verteilt.

Aber ich will dieses Projekt nicht, und ich will dieses Geld nicht. Ich möchte nicht, dass Nancy, die Stadt in der ich geboren wurde, beim kleinsten technischen Problem von einer radioaktive Wolke verseucht wird. Ich weigere mich, künftigen Generationen diese Last aufzubürden, diese Pseudo-Demokratie, die nach Autoritarismus stinkt, wenn eine von 50 000 Menschen handschriftlich unterzeichnete Petition, die ein lokales Referendum über dieses Atommüllendlager fordert, von den Behörden ignoriert wird. Und sie wagen es, zu diesem Zeitpunkt von einem öffentlichen Nutzen zu sprechen! Was für ein Witz. Sie mögen mächtig sein, dieses Gericht ist imposant, die Prozesse sind anstrengend und mein Körper ist der Haft ausgeliefert, aber wir sprechen hier über eine Zeitspanne, die Hunderte von Jahrtausenden umfasst. Angesichts des Urteils, das die Verstrahlung durch die ANDRA fällen wird, ist die Strafe, die Sie verhängen werden, lächerlich. Sie müssten Hunderte von Generationen bestrafen, um hier in den Größenverhältnissen zu bleiben.

Ich würde mich gerne effektiv gegen dieses Projekt wehren und es auf andere Weise stoppen können, aber der Staat nimmt keine Rücksicht auf Petitionen, Warnungen von Bürgerinitiativen oder Demonstrationen. Also habe ich die Zange in die Hand genommen. Es war eine schöne, kollektive Demonstration, bei der der Wind mit uns war und das Tränengas zur ANDRA zurückwehte. Die etwa 500 Anwesenden waren begeistert, und viele von ihnen halfen, die Zäune umzustoßen. Endlich hatten wir dieses Projekt im Griff, das sich uns zu lange entzogen hat.

Wenn Sie sich die Zeit nehmen, nach Bure zu kommen, werden Sie sehen, dass die Zäune und die Polizist*innen die zukünftigen Atomfässer schützen, nicht die Menschen. Während wir kontrolliert werden, kontrolliert niemand die Atomlobby, die auf dem Vormarsch ist. ANDRA wendet Gewalt an, indem sie sich Land aneignet und eine private Miliz einsetzt. Im Jahr 2016 stürmten mit Stöcken, Helmen und Schilden bewaffnete Privatmiliz im Lejus-Wald, dem Wald, den sie zerstören wollen, um die Lüftungsschächte für Cigéo zu bauen, auf Demonstrant*innen los und schlugen mehrere Menschen krankenhausreif. Dies löste dank der von der lokalen Presse verbreiteten Bilder und Zeugenaussagen einen Skandal aus, der die ANDRA zwang, ihre Truppen zurückzuziehen. Es gab keinen Prozess gegen diese Gewalt, die unter Missachtung Ihrer Gesetze ausgeübt wurde. Trotz der Vorlage mehrerer Dokumente wurde das Verfahren durch Interessenkonflikte verschleppt. Ich wollte nur daran erinnern, dass es Schlimmeres gibt als diesen zerschnittenen Zaun. Und dass dieser Prozess ein Zeugnis der juristischen Verfolgung ist. Warum stehe ich heute vor Ihnen? In der ersten Instanz, im Juni 2017, hat der Staatsanwalt von Bar-le-Duc, der mich ins Gefängnis stecken wollte, die Entscheidung des Richters nicht anerkannt.

Wussten Sie außerdem, dass dieser Prozess einen weiteren hervorgebracht hat? Der Gendarmeriekommandant Bruno Dubois hat mich nach der Veröffentlichung der von mir in erster Instanz vor Gericht gemachten Aussage auf Mediapart der Verleumdung beschuldigt. Als ich von meiner Festnahme erzählte, gab ich an, dass dieser Kommandant mich mehrere Sekunden lang würgte, dass ich weder sprechen noch atmen konnte. Der Arzt hat zu Beginn der Inhaftierung eine Rötung und 8 cm lange Kratzer am Hals festgestellt. Es kam also zum Prozess, aber nicht, weil ich gewürgt worden war, sondern weil ich es gewagt hatte, darüber zu sprechen. In seinen Vernehmungen hat der Kommandant immer bestritten, mich berührt zu haben. Bei der Verhandlung, als er feststellen musste, dass ein Video das Gegenteil beweisen würde, gab er jedoch schließlich zu, dass er tatsächlich seinen Arm um meinen Kopf gelegt hatte, um, wie er sagte, „mich zu schützen, damit ich nicht auf den Boden falle“. Natürlich gewann er den Prozess und ich wurde wegen „Verächtlichmachung“ und „Verleumdung“ zu 1400 Euro verurteilt sowie zur Zahlung seiner Anwaltskosten.

Warum habe ich keine Anzeige wegen der Strangulation erstattet? Weil es die Polizei war, die mich angegriffen hat und man Anzeige bei der Polizei erstatten muss. Denn wir kennen die tugendhafte Unabhängigkeit der IGPN (Generalinspektion der Polizei). Weil ich schon mal vor einer Demonstration ins Gesicht geschlagen worden war und schließlich ich es war, der wegen „Rebellion“ verurteilt wurde.

Ich hoffe, dass sich der ANDRA-Zaun von seinem Trauma erholt. Ich für meinen Teil träume oft, dass die Polizei kommt, um mich zu verhaften, manchmal erschießen sie mich und ich sterbe. Die Empfindungen in den Träumen sind auf der psychologischen Ebene real.

Bezüglich der Möglichkeit im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln, stelle ich mir eine Frage: Liegt es im öffentlichen Interesse, den Bau des Atommüllendlagers zu verhindern oder zu erlauben? Ich glaube auch heute noch, dass ich im Interesse der Allgemeinheit gehandelt habe, indem ich mich an der Beseitigung dieser Gitter beteiligt habe. Und ich weiß, dass Sie Angst vor dieser Wahrheit haben. Genauso wie die gewählten Volksvertreter*innen Angst haben, einen lokalen Volksentscheid über dieses Projekt vorzuschlagen.

Ich werde mich jedoch bemühen und mich zu gemeinnütziger Arbeit verurteilen lassen, wenn diese etwas mit der ANDRA zu tun hat. Ich glaube, wir können diesen Streit gemeinsam beilegen, wir können uns gegenseitig ergänzen, da jeder von uns ein rechtliches Anliegen hat, bei dessen Lösung uns der andere helfen kann. Ich habe nicht das Geld, um den Zaun zu bezahlen, und die ANDRA kennt sich nicht mit dem Pflanzen von Bäumen aus. Aber sie haben eine Menge Geld und ich mag Wälder wirklich. Die ANDRA könnte ihre eigenen Zäune bezahlen und ich könnte Bäume im Wald von Lejus pflanzen und sie wachsen und gedeihen sehen.

 

Vor ein paar Jahren wurde die Agentur von einem Gericht verurteilt, weil sie ein Stück dieses Waldes illegal zerstört hatte. Es wurde angeordnet, es „wiederherzustellen“. Problem: Das war 2016 und heute ist die große Mehrheit der von ANDRA neu gepflanzten Bäume tot. Nicht zu vergessen die juristische Unverhältnismäßigkeit: Ein Teil eines Waldes wurde zerstört; das ist Gewalt gegen Lebewesen, Bäume, Vögel, Insekten, Säugetiere. Während es hier um einen zerschnittenen Zaun geht, eine Beschädigung eines bereits toten Gegenstands, der ein tödliches Projekt schützt. Sie können im Gefängnis landen, wenn Sie einen Zaun durchschneiden, Sie bleiben frei, wenn Sie einen Wald zerstören. Sie sollen wissen, dass so eine Institution den Tod sät. Wenn all diese Bäume gestorben sind, dann deshalb, weil die ANDRA sie nicht mit Liebe und dem Wunsch gepflanzt hat, sie so groß werden zu lassen, wie sie waren. Sie haben also eine Straftat begangen und sind wieder rückfällig geworden, das ist sehr ernst zu nehmen und ich frage mich, ob das nicht das ist, was man „ein Zeichen der Radikalisierung“ nennt. Ich würde wirklich nicht wollen, dass jemand von der ANDRA im Gefängnis landet, es ist ein düsterer und trauriger Ort, den ich niemandem wünsche. Deshalb habe ich mich verpflichtet, diesen gemeinnützigen Dienst zu leisten: die Bäume im Lejus-Wald wieder richtig zu pflanzen und zu versuchen, ihn so aussehen zu lassen, wie er vor der Katastrophe war. Es wird ein paar Jahrzehnte dauern, bis ich hoffentlich die gleichen Bedingungen wiederherstellen kann. Bäume brauchen Zeit zum Nachwachsen. Wie können wir die Energie finden zu wachsen, wenn wir wissen, dass wir immer noch von diesem Projekt bedroht sind?

Ich denke, ich habe meinen Standpunkt dargelegt und erklärt, wo meiner Meinung nach das allgemeine Interesse an dieser Angelegenheit liegt. Das scheint mir wichtiger zu sein als das Urteil, das von diesem Gericht gefällt werden kann.

Sie machen mir weniger Angst als Cigeo.

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